Dienstag, 19. April 2011

Wie eine Göttin

Ophelia1Ab und zu gönne ich mir eine kleine Pause auf meinem Streifzug durch die zeitgenössische Literatur und kehre zurück zu dem, was früher schon gut und richtig war. Diesmal war das "Ophelia lernt schwimmen" von Susanna Kubelka. Ein fabelhafter Roman, der, obwohl schon 1987 erschienen auf dem Höhepunkt der Emanzenliteratur, nichts von seiner Gültigkeit verloren hat. Meine Mutter schaffte das Buch Ende der 80er Jahre an, als sie gerade frisch getrennt war und die Schnauze gestrichen voll hatte von Männern und Kompromissen. Als ich das Buch einige Jahre später mehr durch Zufall fand, lernte ich, damals zarte zwölf, mehr über Männer und Frauen, flüchtige Liebschaften und Potenzprobleme, als ein Mädchen in diesem Alter wissen sollte. Das war der Anfang einer wunderbaren Liebe zur rotzfrechen Literatur dieser Emanzipationsphase. Danach habe ich sie alle gelesen: "Madame kommt heute später", "Fisch ohne Fahrrad" und so weiter.

Ophelia ist allerdings eine meiner Lieblingsheldinnen geblieben. Über 40, rote Locken, auffällige Gestalt und ein paar Kilo zuviel - so kommt sie nach Paris, um dort als Lektorin zu arbeiten. Ihr Lebenshunger und ihr unschlagbares Selbstbewusstsein sind wunderbar und bescheren ihr bald zahlreiche Liebhaber. Dass die Männer nicht immer das halten, was sie versprechen, schildert Susanna Kubelka gnadenlos und ohne Mitleid auf 315 Seiten. Und eins schafft sie immer wieder: dass die Leserin sich selbst durch Ophelias Augen begreift und sich wie eine Göttin fühlt. Das tut richtig gut! Der unverschämte Witz dieser Emanzipationsphase ist ein wenig in Vergessenheit geraten in unseren vermeintlich gleichberechtigen Zeiten, dabei haben die Spannungen zwischen Frauen und Männern und die Tatsache, dass vieles noch im Argen liegt, nichts an ihrer Aktualität verloren.

"Ophelia lernt schwimmen" ist 1987 bei Goldmann erschienen und ausschließlich gebraucht erhältlich. Bei Amazon für unter einen Euro.

Donnerstag, 14. April 2011

Von Katzen und Menschen - und dem, was dazwischen liegt

DuellIm Moment komme ich dank meiner Arbeitszeiten nur noch wenig zum Lesen. Gerade habe ich Akif Pirinçcis "Das Duell" beendet. Das 2005 bei Fischer erschienene Buch ist der vierte seiner sieben sogenannten "Felidae"-Romane ("Felidae" ist der lateinische Begriff für Katze). Und folgerichtig ist auch der Held des Buchs Francis, ein etwas älterer Katzenherr, der bereits in den drei früheren Bänden als Detektiv so manchen Fall gelöst hat.

Auf 259 Seiten schildert Akif Pirinçci einen Kriminalfall, der sich erst nach und nach in seinem ganzen Ausmaß entfaltet. Das erste und zweite Drittel besteht aus der Erarbeitung der Geschichte und aus zahlreichen Finten und Vermutungen, die sich allesamt als falsch herausstellen. Erst gegen Ende wird die Handlung grausam und abartig, unvorstellbar und unbegreiflich. Und dann stimmt es, was die Zeitschrift "Allegra" einmal über Pirinçci schrieb: "Akif Pirinçci ist so etwas wie der deutsche Stephen King."

Der deutsch-türkische Schriftsteller schildert das Geschehen aus Francis' Sicht, tut das aber so kunstfertig, dass der Leser sich nicht darüber wundert, diese Welt durch die Augen einer Katze zu betrachten. Die Stimmung des Buches ist düster und dumpf. Man spürt von Anfang an, dass hier etwas nicht stimmt, dass hier dunkle Mächte am Werk sind, so grausam, dass nur der Mensch als Verursacher infrage kommt.

An Akif Pirinçcis Büchern gefällt mir, dass seine Helden keine strahlenden Jünglinge sind. Stets bewegt er sich beim Entwurf seiner Geschichten abseits des üblichen Weges, wählt eine ungewöhnliche Sichtweise, einen ungewöhnlichen Protagonisten, eine Perspektive, die an sich schon nachdenklich macht. 1992 erschien der Roman "Der Rumpf". Der Mörder: ein Mann, der ohne Arme und Beine geboren wurde. 1997 veröffentlichte Pirinçci den Kriminalroman "Yin", in dem ein Virus die gesamte männliche Bevölkerung auslöscht. "Die Damalstür" (2009) schließlich schildert das Leben eines gescheiterten Malers, der zehn Jahre in der Zeit zurückreist und seinem früheren Ich begegnet - und es ermordet.

"Das Duell" von Akif Pirinçci ist 2005 im Fischer Verlag erschienen und kostet 8,90 Euro. Gebraucht bei Amazon ab 78 Cent, auch als Hörbuch erhältlich (ca. 30 Euro).

Sonntag, 27. März 2011

Krimi Provenzal

TrueffelDas Buch "Trüffelträume" des britischen Auswanderer-Autors Peter Mayle wurde mir vom Vater meines Freundes ausgeliehen und kam so auf meine Leseliste; mehr oder weniger in akuter Ermangelung eines anderen Lesestoffs. Im Mittelpunkt der Handlung steht Mr. Bennett, der sich seines Vornamens schämt und deshalb vom Erzähler nur mit Nachnamen benannt wird. Bennett ist ein erfolgloser Immobilienmakler in der Provence und immer in Geldnot. Auf ein Stellengesuch hin meldet sich der schwerreiche Engländer Julian Poe und bietet ihm einen Job an: Bennett soll Poe helfen, seinen aufwändigen Lebensstil beizubehalten, den der Millionär von der Steuerbehörde bedroht sieht. Ein Luxusappartement in Montecarlo, ein schicker Wagen, ein unbegrenztes Budget - zunächst scheint der Job keine Nachteile zu haben. Doch als Bennett eine Lieferung für Poe "verliert", gerät er ins Visier der französisch-italienischen Trüffelmafia. Und bald interessiert sich auch die französische Polizei für den mysteriösen Koffer...

"Trüffelträume" ist ein nettes Buch, in dem sich wenige Überraschungen, jedoch ein hübsches Stückchen provenzalische Lebensart verbergen. Ein etwas vorhersehbarer Kriminalroman, der, gerade wenn es um die Sicht des Protagonisten Bennett auf seine weiblichen Gespielinnen geht, eindeutig männlich geprägt ist. Als Urlaubslektüre und als schnelles Buch für Zwischendurch durchaus okay, für Leser mit großen Erwartungen und hohem Literaturanspruch eher ungeeignet.

"Trüffelträume. Die provenzalischen Abenteuer des Mr. Bennett" ist 1997 bei Droemer Knaur erschienen und ist bei Amazon gebraucht ab 87 Cent erhältlich.

Sonntag, 6. März 2011

Essen, beten, lieben

Eat1"Eine Freundin hat mir Eat, Pray, Love zu lesen gegeben. Ich mochte es sehr, sehr gern."
Hillary Clinton

Ich habe ihr nicht geglaubt, der guten Frau Clinton. Und auch alle anderen Frauen, die so vorbehaltslos von Elizabeth Gilberts Roman "Eat, Pray, Love" geschwärmt haben, waren mir ein bißchen suspekt. Im Radio habe ich vor einiger Zeit die Buchempfehlung einer Pastorin gehört, die sagte, dieses Buch werde einen Dauerplatz auf ihrem Nachttisch bekommen, damit sie "immer mal wieder darin nachschlagen könne". Die ist aber leicht zu beeindrucken, dachte ich damals.

Bereits im vergangenen Jahr habe ich den Film mit Julia Roberts und Javier Bardem im Kino gesehen und fand ihn schön. Schön und opulent und, ähnlich wie "Das Parfum", voller Gerüche, Aromen und Farben. Trotzdem nicht vollkommen, etwas langatmig vielleicht. Das Buch habe ich mir eigentlich nur gekauft, um mir ein allumfassendes Bild dieses Erlebnisromans zu machen. Richtig Lust, es zu lesen, hatte ich nicht, denn immerhin kannte ich die Story, die Bilder und das Ende bereits aus dem Kino.

Doch ich muss sagen: Ich bin sehr froh, dass ich es dennoch gelesen habe. Die Lektüre war eine Bereicherung für mich. Liz Gilbert lädt ihre Leserinnen voller Warmherzigkeit, Ganzheitlichkeit und wunderbarer Leichtigkeit dazu ein, sie auf ihrer einjährigen Weltreise zu begleiten, und lässt tiefe Blicke in ihre Seele zu. Sie scheut sich nicht, über Egoismus und menschliche Schwäche zu sprechen. Themen wie Figurprobleme, Moskitostiche, sexuelle Probleme und Masturbation spricht sie ohne Furcht an und ohne Scham. Ihr Stil ist unbekümmert, umgangssprachlich ("Ich schluchzte so sehr, dass sich ein großer See aus Tränen und Rotz vor mir auf den Badezimmerfliesen ausbreitete", S. 19) und absolut uneitel. Was für eine Wohltat nach der leicht arroganten Schreibe von Paulo Coelho, die den Leser stets spüren lässt, dass er nur begrenzt etwas von Literatur versteht!

Liz Gilbert schreibt nicht der Schönheit der Sprache wegen. Sondern, um ihre Botschaft zu vermitteln. Und die lautet, dass Weglaufen bis zu einem bestimmten Punkt funktioniert - und dann nicht mehr. Sie selbst erreichte diesen Punkt, nachdem sie bereits einige Jahre verheiratet war und ein ruhiges und bürgerliches Leben führte - und sich plötzlich eines Nachts von Panik geschüttelt auf dem Boden ihres Badezimmers wiederfand. Mit dem Mut der Verzweiflung und einem starken Willen beendete sie ihre Ehe, ließ die Vorwürfe ihres Mannes über sich ergehen und verlor alles. Ihre Reise begann als verzweifelter Versuch, endlich zu sich zu finden, und endete mit der Erkenntnis, dass sie selbst ihre innere Stimme sein kann.

Ich empfehle dieses Buch. Nicht, weil es literarisch wertvoll ist - es ist schön und unterhaltsam zu lesen, das sicher, aber hohe Literatur ist es nicht. Trotzdem ist es ungeheuer hilfreich. Es wird vielleicht einen Dauerplatz auf meinem Nachttisch bekommen. Damit ich immer einmal wieder darin lesen kann. I like!

"Eat, Pray, Love" ist im Bvt Berliner Taschenbuch Verlag erschienen. Es hat 496 Seiten und kostet neu bei Amazon 10,95 Euro. Gebrauchte Ausgaben sind ab ca. drei Euro erhältlich.

Montag, 21. Februar 2011

Ausschau halten nach dem Guten

BridaPaulo Coelhos Bücher muss man mögen. Oder nicht. Ich mag sie. Was ich allerdings nicht so sehr mag, ist seine blumige Sprache, die oft etwas, das auch einfach gesagt werden könnte, betont wohlklingend verpackt. Coelhos Figuren sprechen nicht einfach nur, sie leiden in jedem Satz, ihr ganzes Wesen soll bewertbar sein an der Eleganz ihrer Sprache. Vielleicht sind mir auch seine Handlungen - viele Hexen, viele althergebrachte Traditionen, viel Übersinnliches - ein wenig zu überladen. Kaum eine Liebe besteht aus sich selbst, jeder Entschluss, jede Geste hat ihre Rechtfertigung in einer spirituellen Bestimmung. Und doch -

Was ich mag, sind die guten, guten Gedanken in seinen Büchern. Am Wochenende habe ich "Brida" gelesen, das 1990 erstmals bei einem Verlag in Rio de Janeiro erschienen ist. Hauptperson ist Brida, eine 21-jährige Frau, die sich auf den Weg ihrer spirituellen Suche begibt und dabei gemeinsam mit dem Leser erfährt, was es bedeutet, eine Hexe zu sein. Brida reist in vergangene Leben, verbringt eine Nacht im dunklen Wald, findet ihren anderen Teil und eine Meisterin, die sie schließlich initiiert. Zwei mehr oder weniger spirituell- erotische Liebesszenen, einmal lolita-like mit dem wesentlich älteren Magier und einmal mit ihrem eigenen Verlobten Lorens, runden die Handlung ab. Doch auch hier ist Sex nicht einfach nur Sex, sondern benötigt Lichtwesen und Visionen.

Vielleicht wäre ich böse auf Coelho und sein übertriebenes und völlig unnötiges Bemühen, so ganz besonders zu klingen. Denn Bridas Suche ist konfus und führt eigentlich im Prinzip zu nichts. Und auch Brida selbst bleibt eine oberflächliche Figur. Begehrt von zahlreichen Männern, furchtlos, schamlos, unbelehrbar irgendwie, auch wenn der Reifeprozess deutlich gewollt ist: So ist kein Mensch. Menschen zweifeln, schwanken, stellen sich selbst und ihre Suche in Frage.

Vielleicht also wäre ich böse auf den genialen Coelho, wenn er nicht zwischendrin Gedanken tiefer Weisheit einstreuen würde. Denn plötzlich sind da Absätze wie der folgende, die direkt in mein Herz gehen und mich für das ganze Leben bereichern:

"Als Kind war sie häufig nachts voller Angst aufgewacht. Ihr Vater war dann mit ihr ans Fenster getreten und hatte ihr die Stadt gezeigt, in der sie lebten. Er erzählte ihr dann von den Nachtwächtern, dem Milchmann, der bereits die Milch austrug, vom Bäcker, der das tägliche Brot buk. Ihr Vater sagte, sie solle die Ungeheuer verscheuchen, mit denen sie die Nacht bevölkert hatte, und durch die Menschen ersetzen, die in der Dunkelheit wachten. ,Die Nacht ist nur ein Teil des Tages', hatte er sie beruhigt." (24)

Weitere wirklich gute Stellen:

"Die Gärtner werden einander erkennen - denn sie wissen, dass jede Pflanze die Geschichte der ganzen Erde enthält." (Vorwort)

",Wir gehören zu dem, was die Alchimisten Anima Mundi oder Alma Mundi, die Weltenseele, nennen', sagte Wicca, ohne Bridas Frage direkt zu beantworten. ,Tatsächlich würde die Weltenseele, wenn sie sich nur teilte, zwar immer größer, aber auch immer schwächer werden. Daher teilen wir uns, aber wir finden uns auch wieder. Und dieses Wiederfinden heißt Liebe. Denn wenn sich die Seele teilt, teilt sie sich immer in einen männlichen und einen weiblichen Teil. [...]'" (37)

",Alles hat sich bewegt und bewegt sich weiter. Alles verändert sich und wird sich weiter verändern. Doch die gesamte Materie des Universiums ist dieselbe wie vor Milliarden von Jahren. Es ist kein einziges Atom dazugekommen.'" (45)


Mein Fazit: "Brida" ist keins der Coelho-Bücher, die man gelesen haben muss. "Die Hexe von Portobello" und "Veronika beschließt zu sterben" sind weitaus empfehlenswerter. So oder so, blickt beim Lesen durch die Sprache, die nur schön sein will, und haltet Ausschau nach dem, was Paulo Coelhos Bücher wirklich ausmacht: eine große Weisheit, manchmal auch zwischen den Zeilen.

"Brida" von Paulo Coelho ist unter anderem bei Diogenes erschienen und kostet neu ab 9,90 Euro. Gebrauchte Ausgaben sind ab 2,50 Euro erhältlich. "Brida" ist außerdem als Hörbuch erschienen.

Donnerstag, 17. Februar 2011

So warm wie eine Tasse Tee

FreundschaftIm Moment liege ich krank im Bett, deshalb habe ich, wenn ich nicht gerade schlafe, jede Menge Zeit zum Lesen. Vor gut einer halben Stunde habe ich das Buch "Allein aus Freundschaft" von Nicci Gerrard beendet. Ein schönes Buch, es plätschert leicht dahin, auch wenn die Themen, die behandelt werden, eigentlich nicht leicht sind. Doch Nicci Gerrard schafft es, elegant und irgendwie tröstlich von zerbrochenen Freundschaften, Betrug, schrecklichen Geheimnissen und jahrelangem Schweigen zu erzählen - so, dass man irgendwie immer den leicht staubigen Duft von getrockneten Blumen und Mottenkugeln wahrnimmt.
Im Mittelpunkt stehen Gaby und Connor, ein seit 20 Jahren verheiratetes Paar, das gerade den einzigen Sohn, Ethan, an die Uni verabschiedet hat. Aus einer spontanen Idee heraus beschließt Gaby, ihre ehemals beste Freundin Nancy zu suchen, die vor gut 18 Jahren einfach aus ihrem Leben verschwand. Nancy selbst ist schroff und abweisend, doch als Gaby noch einmal allein in das Haus ihrer Freundin zurückkehrt, stößt sie auf den Zipfel eines Geheimnisses und beginnt, es Schicht um Schicht freizulegen - bis sie selbst an der Basis ihres eigenen Lebens zweifelt.

Nicci Gerrard bildet eigentlich mit ihrem Ehemann Sean French das Schriftstellerduo "Nicci French", das seit vielen Jahren immer wieder Bestseller im Spannungsbereich vorlegt. "Allein aus Freundschaft" ist ihr zweites Buch im Alleingang nach "Als wir Töchter waren". Ja, es sind Frauenbücher mit viel Herzschmerz, Familie, leisen Zwischentönen, ein wenig Pilcheresque. Aber in manchen Lebenssituationen ist das genau richtig und absolut in Ordnung.

"Allein aus Freundschaft" ist 2009 bei Bastei Lübbe als Taschenbuch erschienen und kostet aktuell bei Amazon neu 8,95 Euro, gebraucht ab 1,82 Euro. Auch als Hörbuch erhältlich.

Sonntag, 13. Februar 2011

Ein stetiger Kampf

Dunkle-Seite1Das Buch, das ich diesmal besprechen möchte, ist "Die dunkle Seite der Liebe" von Rafik Schami. Ein Werk, dass man getrost sowohl episch als auch monumental nennen kann. Ich glaube, ich habe insgesamt eineinhalb Monate gebraucht, um es zu lesen, obwohl ich alle anderen Bücher in dieser Zeit außer Acht gelassen habe.

Rafik Schami gibt ein fast allumfassendes Bild von der arabischen Lebensweise, und nicht weniger hatte er sich vorgenommen, als er vor mehr als 20 Jahren begann, das Buch in Damaskus, Beirut und Heidelberg zu schreiben: "Man müsste, dachte ich damals als Sechszehnjähriger, der die Welt als eine unendliche Kette von Geschichten sah, einen Roman über alle Spielarten der verbotenen Liebe in Arabien schreiben, und ich wünschte mir dies mit der ganzen Naivität eines Liebenden", schreibt er im Schlusswort seines Buches, das er im Lauf der Jahre immer wieder überarbeitet hat und schließlich erst 2004 herausgab.

Im Mittelpunkt der opulenten Erzählung, die im syrischen Damaskus angesiedelt ist, stehen die Liebenden Rana und Farid. Weil sie zwei seit Generationen verfeindeten Familien entstammen, ist ihre Liebe unmöglich. Was klingt wie eine arabische Kopie von Romeo und Julia ist der rote Faden, der durch dieses 1034 Seiten starke Werk führt. Erzählt wird drumherum noch so viel mehr, dass es schlicht nicht zusammengefasst werden kann. Schami thematisiert nicht nur die jeweiligen Familiengeschichten der Schahins und Muschtaks, sondern auch die Schicksale und Eigenheiten aller Nebenfiguren, der Nachbarn, der Schulkameraden im Kloster... Dabei gehören Farid Muschtak und seine Liebesgeschichte streng genommen eher zur Binnenhandlung, denn der Plot beginnt mit einem Mord und den dazugehörigen Ermittlungen eines gewissen Kommissars. Dann taucht Schami ab in die facettenreiche Welt seiner Figuren, und als der Mord am Ende erneut thematisiert und für den Leser aufgelöst wird, hat der ihn im Prinzip schon vergessen.

Es gehört Geduld dazu, die erste Hälfte des Buches über am Ball zu bleiben. Gerade die zahlreichen Erzählstränge sind manchmal etwas verwirrend, und auch die für europäische Leser ungewohnten arabischen Namen und deren stetige Wiederholung bei anderen Figuren sind zunächst ungewohnt. Doch wer sich dazu entschließt, sich auf die Schahins und Muschtaks, die Frage der arabischen Ehre, eine unendliche Fülle von Geschichten und politischem Leiden einzulassen, der wird reich belohnt. Nicht nur mit einer endlosen Geschichte, sondern auch mit einem tieferen Verständnis für die arabische Welt. Seit der Lektüre sehe ich viele Dinge klarer und verstehe, warum es immer wieder zu Missverständnissen zwischen der westlichen und der arabischen Welt kommt.

"Die dunkle Seite der Liebe" von Rafik Schami ist unter anderem im dtv-Verlag erschienen und kostet neu 12,90 Euro. Bei Amazon ist das Buch gebraucht ab etwa 3,70 Euro erhältlich.

Sterben, um zu leben

Eleganz1Muriel Barbery, die französische Schriftstellerin mit den marokkanischen Wurzeln, hat den Titel ihres zweiten Buches klug gewählt. "Die Eleganz des Igels" ist kein abgestumpfter Ausdruck wie die "Eleganz der Katze", auch wenn letztere auf dem Buchcover abgebildet ist. Das Hirn liest "Katze", selbst wenn dort "Igel" steht. Das macht stutzig - und interessiert.

Muriel Barberys Zweitling erschien bereits 2006 in französischer Originalversion. 2008 folgte die deutsche Übersetzung, die auf der SPIEGEL- Bestsellerliste bis auf Platz 5 kletterte, um ein Jahr später schließlich verfilmt zu werden. Ich selbst wurde darauf aufmerksam, weil das Buch eine fünfspaltige Besprechung in einer Zeitschrift erhielt und dort noch in diesem Herbst fälschlicherweise als Neuerscheinung angepriesen wurde.

Über "Die Eleganz des Igels" lässt sich sicher vieles sagen. Aber eins sollte stets vorweg gehen: Dieses Buch ist von der ersten bis zur letzten Seite angefüllt mit guten Dingen. Es finden sich philisophische Betrachtungen über das Leben, persönliche Erkenntnisse der Hauptfiguren, ein wenig Eminem und ein sanfter japanischer Aspekt, den man im Paris des neuen Jahrtausends so nicht erwartet hat.

Die Handlung spannt sich auf zwischen Renée Michel, der unscheinbaren Concierge eines edlen Wohnhauses in der Rue Grenelle 7, und der zwölfjährigen Paloma, die in ebendiesem Haus mit ihrer Familie lebt. Beide wechseln sich als Ich-Erzählerinnen ab und kommentieren auf köstliche Weise und von unterschiedlichen Standpunkten aus die Bewohner des Hauses, deren Beziehungen und die Geschehnisse. Renée Michel selbst ist hochintelligent, versucht dies jedoch zu verbergen. Warum, wird erst gegen Ende erklärt, soll hier aber nicht verraten werden, da es zum Spannungsbogen der Erzählung beiträgt. Auch Paloma ist außerordentlich intelligent und vielleicht ein wenig altklug, doch ihre Lebensbetrachtungen sind ebenso lehrreich wie bemerkenswert. Paloma ist frustriert von der mangelnden Schönheit der Welt und hat daher beschlossen, sich an ihrem 13. Geburtstag das Leben zu nehmen. Außerdem will sie die Wohnung der Familie anzünden. So leben beide einsam vor sich hin, gefangen in einem Umfeld, das sie völlig verkennt. Erst, als der sensible und hochgebildete Kakuro Ozu ins Haus einzieht, kommt Bewegung in die Geschichte. Dadurch entsteht Kontakt zwischen der einsamen Concierge und dem isolierten Mädchen, außerdem je eine Freundschaft zwischen dem neuen Bewohner und den Erzählerinnen. Und auch eine Liebesgeschichte klingt an, wird jedoch nicht ausgesprochen oder gar ausgeführt.

Nur so viel sei gesagt: Als Renée Michel begreift, dass sie sich selbst ihr ganzes Leben lang unter Verschluss gehalten hat, trifft sie die Entscheidung, ihr selbst gewähltes Exil zu verlassen. Die Konsequenz markiert zugleich das Ende des Buches: Es geschieht ein Unglück. Die Frage, ob die Entwicklung der Figur Madame Michel dieses Opfer wert war, muss letztlich jeder Leser für sich selbst beantworten.

Ich sage: Ja!

Der Roman "Die Eleganz des Igels" ist 2008 bei dtv Premium erschienen und kostet 14,90 Euro, gebraucht bei Amazon ab 2,46 Euro.

Wenn der Tod nur das Resultat eines glücklichen Lebens ist

SchlemmDie Entscheidung, das auf 2,99 Euro reduzierte "Schlemm" vom Wühltisch zu kaufen, fiel innerhalb weniger Sekunden, nachdem ich den Klappentext angelesen hatte. "Elf Tage lang wird Luca noch Sohn sein, Kind seiner Eltern, mit Vater und Mutter, die man jederzeit anrufen kann. Dann werden sie sterben", heißt es dort.

"Schlemm", der erste Roman des schweizer Journalisten und Übersetzers Nicola Bardola, beginnt mit einem Telefonanruf. Nüchtern und emotionslos nennt Paul Salamun seinem Sohn Luca den Tag, an dem er sterben wird. Paul Salamun hat Blasenkrebs, seine Frau Franca ist des Lebens überdrüssig. Gemeinsam hat das Ehepaar schon vor Jahren beschlossen, in einem solchen Fall dem Leben gemeinsam ein Ende zu setzen. Luca, sein Bruder Reto und der Rest der Familie sehen sich mit dem Unfassbaren konfrontiert: Sie müssen akzeptieren, dass die Eltern gehen werden.

Auf 204 Seiten schildert Bardola die letzten Tage von Franca und Paul, ihren Abschied von der Welt und das Sterben unter Aufsicht der Euthanasie-Organisation "Right of Way" (ROW). Es gelingt ihm, dem Leben der Protagonisten im Angesicht des Todes eine ganz eigene Qualität zu geben. Und den Leser zum Nachdenken zu bringen.

Sensibel, aber auch mit einer gewissen Distanz erzählt er später auch vom fast zwei Stunden andauernden Todeskampf, vom letzten Schluck Champagner und dem verschwitzten Unterhemd des Vaters, das Luca nach dem Selbstmord der Eltern erschüttert in den Händen hält. Doch der Tod von Franca und Paul ist kein Alptraum, aus dem die Kinder nicht mehr erwachen, sondern ein leiser Abschied bei vollem Bewusstsein und letztlich eine virtuose Liebeserklärung an das Leben selbst.

Noch eine Randnotiz: Wie Nicola Bardola im unfangreichen Zusatzmaterial erläutert, ist die Geschichte vom Selbstmord seiner eigenen Eltern inspiriert. Er beschäftigt sich seit langem mit dem Thema Sterbehilfe, schrieb unter anderem auch das Buch "Der begleitete Freitod."

Sein Roman "Schlemm" ist 2007 im Heyne-Verlag erschienen und kostet bei Amazon 8,95 Euro, gebraucht ab 0,88 Euro.

Meine Nacht hinter der Wand

Die-Wand1Als ich "Die Wand" vor einigen Wochen zum ersten Mal in der Stadtbücherei aus dem Regal zog und den Klappentext las, hatte ich wenig Lust auf das Buch und stellte es wieder zurück. Es geht etwas Ungemütliches davon aus, das man schwer beschreiben kann. Einen ähnlichen Eindruck macht übrigens auch das Titelbild, dessen Farben der friedlichen Berglandschaft einen fast schrillen Unterton geben.

Letzte Woche habe ich es dann doch ausgeliehen. Vielleicht, weil Elke Heidenreich es auf der Rückseite vollmundig als eins der zehn wichtigsten Bücher in ihrem Leben anpreist. Und die Frau hat schließlich schon so einiges gelesen. Ich fing nachmittags mit der Lektüre an. Zunächst geht alles einen gewohnten, fast langweiligen Gang. Die Protagonistin, die übrigens bis zur letzten Seite namenlos bleibt, fährt mit zwei weiteren Personen über's Wochenende in eine Jagdhütte in den Bergen. Als das ältere Paar, das sie begleitet, am Abend des ersten Tages beschließt, auf ein Bier ins Dorf hinab zu steigen, bleibt die Erzählerin allein zurück. Sie wundert sich zwar, dass ihre Begleiter bis in die späte Nacht nicht zurückkehren, geht aber schließlich doch schlafen. Am nächsten Morgen ist sie noch immer allein und macht sich schließlich selbst auf den Weg ins Dorf. Dabei entdeckt sie das Unfassbare: In einem Tal, nicht weit von der Jagdhütte entfernt, stößt sie auf eine unsichtbare Wand, die sie nicht überwinden kann. Unerklärlich, schrecklich, aufrüttelnd. Zunächst nähert sie sich dem Problem pragmatisch, doch dann erkennt sie, dass auf der anderen Seite dieser Wand nichts überlebt hat, weder Vögel noch Menschen.

Ähnlich wie die Protagonistin steht auch der Leser vor einem echten Problem und wird plötzlich herausgerissen aus seiner Lesefreude. Denn diese Wand kann nicht erklärt werden. Sie ist unvorstellbar. Und ja, sie schmerzt. Denn sie lässt sich nicht einordnen. Und das ist immer beunruhigend.

Die namenlose Erzählerin ist dazu gezwungen, die Wand als neue feste Größe in ihrem Leben zu akzeptieren. Eine Größe, die aber auch wirklich alles verändert. Fortan ist sie gezwungen, als Bäuerin das Feld zu bewirtschaften und sich dem Lauf der Jahreszeiten zu unterwerfen. Sie richtet sich in dieser neuen Einsamkeit ein, so gut es geht, und geht mit den ihr zugelaufenen Tieren (dem Hund der verschollenen Begleiter, einer zugelaufenen Katze, einer Kuh und deren Stierkalb) eine Symbiose ein.
Ich muss gestehen, ich habe dieses Buch in nur einer Nacht durchgelesen. Aber nicht, weil ich es sprachlich oder erzählerisch besonders gut fand. Sicher, es ist nett geschrieben, und auf eine gewisse Weise entwickelt man Sympathie für diese Frau, die sich so tapfer behauptet gegen die Gewalten der Natur und ihr merkwürdiges Schicksal. Aber die endlosen Beschreibungen des Lebens im Wald ermüden und wiederholen sich stetig. Um sieben Uhr morgens hatte ich die 285 Seiten durchgekämpft - und blieb allein und befremdet zurück. Ich musste mir eingestehen, dass ich nur deshalb wach geblieben war, um endlich zu erfahren, wie die Geschichte ausgeht. Wie die Protagonistin die Wand überwindet und zu ihrem normalen Leben zurückkehrt. Aber das passiert nicht. Nichts passiert. Zwar kommt es auf den letzten Seiten noch einmal zu einer Begegnung mit einem anderen Menschen, doch die ist unerfreulich und endet blutig. Die beklemmende Situation wird also nicht aufgelöst, und der baldige Tod der mittlerweile verwilderten, sich selbst nicht mehr mit Namen bezeichnenden Person steht bald bevor, da ihr die Streichhölzer ausgehen und somit auch das Feuer.

Beim Nachdenken über dieses Buch wird schnell klar, dass es sich um eine Parabel handelt. Marlen Haushofer verfasste den Roman in den 1960er Jahren und ist mittlerweile längst verstorben; dennoch schienen unüberwindbare Grenzen sie ihr Leben lang beschäftigt zu haben. Zwar fällt es schwer, die Wand als das anzuerkennen, was sie wohl ist: Die wahrgewordene Problematik, die die Menschen voneinander abschneidet und schließlich jeden so isoliert wie die Protagonistin, auch wenn diese Hürde dank zahlreicher Zerstreuungen heutzutage nicht mehr derart empfindlich wahrgenommen wird.

Es ist ein Buch, das zur Langsamkeit zwingt. Und das Demut lehrt. Ich habe mich darauf eingelassen und dabei erkannt, dass ich ein Kind meiner Zeit bin und wir alle vom Fernsehen verzogen worden sind. Wir erwarten, einen "Fall" innerhalb von einer Stunde erklärt und gelöst zu sehen. Wir sind die CSI-Generation und wir können mit einem offenen Ende schlecht leben. Als Literatin sage ich: Her mit den offenen Enden, sie werten ein Buch geradezu kolossal auf, denn sie bewegen und hinterlassen einen nachhaltigen Eindruck. Auch wenn ich als Leserin persönlich eine schlüssige Erklärung am Ende vorziehe.

"Die Wand" von Marlen Haushofer ist bei List erschienen und kostet im Handel 8,95 Euro. Gebraucht ist das Buch bei Amazon ab 1,71 Euro erhältlich.

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