Sonntag, 13. Februar 2011

Meine Nacht hinter der Wand

Die-Wand1Als ich "Die Wand" vor einigen Wochen zum ersten Mal in der Stadtbücherei aus dem Regal zog und den Klappentext las, hatte ich wenig Lust auf das Buch und stellte es wieder zurück. Es geht etwas Ungemütliches davon aus, das man schwer beschreiben kann. Einen ähnlichen Eindruck macht übrigens auch das Titelbild, dessen Farben der friedlichen Berglandschaft einen fast schrillen Unterton geben.

Letzte Woche habe ich es dann doch ausgeliehen. Vielleicht, weil Elke Heidenreich es auf der Rückseite vollmundig als eins der zehn wichtigsten Bücher in ihrem Leben anpreist. Und die Frau hat schließlich schon so einiges gelesen. Ich fing nachmittags mit der Lektüre an. Zunächst geht alles einen gewohnten, fast langweiligen Gang. Die Protagonistin, die übrigens bis zur letzten Seite namenlos bleibt, fährt mit zwei weiteren Personen über's Wochenende in eine Jagdhütte in den Bergen. Als das ältere Paar, das sie begleitet, am Abend des ersten Tages beschließt, auf ein Bier ins Dorf hinab zu steigen, bleibt die Erzählerin allein zurück. Sie wundert sich zwar, dass ihre Begleiter bis in die späte Nacht nicht zurückkehren, geht aber schließlich doch schlafen. Am nächsten Morgen ist sie noch immer allein und macht sich schließlich selbst auf den Weg ins Dorf. Dabei entdeckt sie das Unfassbare: In einem Tal, nicht weit von der Jagdhütte entfernt, stößt sie auf eine unsichtbare Wand, die sie nicht überwinden kann. Unerklärlich, schrecklich, aufrüttelnd. Zunächst nähert sie sich dem Problem pragmatisch, doch dann erkennt sie, dass auf der anderen Seite dieser Wand nichts überlebt hat, weder Vögel noch Menschen.

Ähnlich wie die Protagonistin steht auch der Leser vor einem echten Problem und wird plötzlich herausgerissen aus seiner Lesefreude. Denn diese Wand kann nicht erklärt werden. Sie ist unvorstellbar. Und ja, sie schmerzt. Denn sie lässt sich nicht einordnen. Und das ist immer beunruhigend.

Die namenlose Erzählerin ist dazu gezwungen, die Wand als neue feste Größe in ihrem Leben zu akzeptieren. Eine Größe, die aber auch wirklich alles verändert. Fortan ist sie gezwungen, als Bäuerin das Feld zu bewirtschaften und sich dem Lauf der Jahreszeiten zu unterwerfen. Sie richtet sich in dieser neuen Einsamkeit ein, so gut es geht, und geht mit den ihr zugelaufenen Tieren (dem Hund der verschollenen Begleiter, einer zugelaufenen Katze, einer Kuh und deren Stierkalb) eine Symbiose ein.
Ich muss gestehen, ich habe dieses Buch in nur einer Nacht durchgelesen. Aber nicht, weil ich es sprachlich oder erzählerisch besonders gut fand. Sicher, es ist nett geschrieben, und auf eine gewisse Weise entwickelt man Sympathie für diese Frau, die sich so tapfer behauptet gegen die Gewalten der Natur und ihr merkwürdiges Schicksal. Aber die endlosen Beschreibungen des Lebens im Wald ermüden und wiederholen sich stetig. Um sieben Uhr morgens hatte ich die 285 Seiten durchgekämpft - und blieb allein und befremdet zurück. Ich musste mir eingestehen, dass ich nur deshalb wach geblieben war, um endlich zu erfahren, wie die Geschichte ausgeht. Wie die Protagonistin die Wand überwindet und zu ihrem normalen Leben zurückkehrt. Aber das passiert nicht. Nichts passiert. Zwar kommt es auf den letzten Seiten noch einmal zu einer Begegnung mit einem anderen Menschen, doch die ist unerfreulich und endet blutig. Die beklemmende Situation wird also nicht aufgelöst, und der baldige Tod der mittlerweile verwilderten, sich selbst nicht mehr mit Namen bezeichnenden Person steht bald bevor, da ihr die Streichhölzer ausgehen und somit auch das Feuer.

Beim Nachdenken über dieses Buch wird schnell klar, dass es sich um eine Parabel handelt. Marlen Haushofer verfasste den Roman in den 1960er Jahren und ist mittlerweile längst verstorben; dennoch schienen unüberwindbare Grenzen sie ihr Leben lang beschäftigt zu haben. Zwar fällt es schwer, die Wand als das anzuerkennen, was sie wohl ist: Die wahrgewordene Problematik, die die Menschen voneinander abschneidet und schließlich jeden so isoliert wie die Protagonistin, auch wenn diese Hürde dank zahlreicher Zerstreuungen heutzutage nicht mehr derart empfindlich wahrgenommen wird.

Es ist ein Buch, das zur Langsamkeit zwingt. Und das Demut lehrt. Ich habe mich darauf eingelassen und dabei erkannt, dass ich ein Kind meiner Zeit bin und wir alle vom Fernsehen verzogen worden sind. Wir erwarten, einen "Fall" innerhalb von einer Stunde erklärt und gelöst zu sehen. Wir sind die CSI-Generation und wir können mit einem offenen Ende schlecht leben. Als Literatin sage ich: Her mit den offenen Enden, sie werten ein Buch geradezu kolossal auf, denn sie bewegen und hinterlassen einen nachhaltigen Eindruck. Auch wenn ich als Leserin persönlich eine schlüssige Erklärung am Ende vorziehe.

"Die Wand" von Marlen Haushofer ist bei List erschienen und kostet im Handel 8,95 Euro. Gebraucht ist das Buch bei Amazon ab 1,71 Euro erhältlich.

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